2011 | Prenzlau

Herbert Schirmer:
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung von Hannelore Born am 21. Mai 2011 im  Dominikanerkloster in Prenzlau

Vor genau vierzig Jahren schloss Hannelore Born das Studium der Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Dresden bei Gerhard Kettner und Rudolf Bergander ab. Seitdem lebt und arbeitet sie in als freiberufliche Künstlerin in Panketal/ Schwanebeck. Was sich seit dem Studium und dem gegenwärtigen künstlerischen Schaffen leitmotivisch abzeichnet, könnte man am ehesten als Sinnzusammenhang der Existenz alles Kreatürlichen und Natürlichen bezeichnen. Ihr stiller, gleichwohl intensiver Bildkosmos, der vom heimatlichen Umfeld bis in viele Gegenden Europas reicht. ist in der eigenen Tradition unaufgeregter Kontinuität und souveräner Behenschung der handwerklichen Mittel aufgehoben. Hinzu kommt eine großzügige Sichtweise, in der sie die Natur als erhabene Dimension, als Lebensraum wahrnimmt und reflektiert, ohne die Bindung zum Geschauten und Erlebten aufzugeben. Hierfür sind neben Seherlebnissen anschauliche Erfahrung und organische Durchdringung genau so wichtige Voraussetzungen wie die hoch entwickelte sensible Beobachtungsgabe und ihr untrüglicher Sinn für die ursprüngliche Landschaftsgestalt. Licht, Wetterphänomene, Wasser und Wolken, ein Blütenblatt oder ein Gesichtsausdruck sind Erscheinungen, die sie einem malerischen Wandel unterwirft. Zwischen behutsam angelegter Sinnesempfindlichkeit, lyrischer Lebendigkeit und sich auflösender Gegenständlichkeit verarbeitet sie die Unmittelbarkeit ihrer Beobachtungen zu poetisch beschriebenen Darstellungen.
Auch wenn der real erlebte Natureindruck als Ausgangserlebnis steht, geht es nicht um wiedererkennbares Abschildern, sondern vielmehr um eine Reduzierung des Sichtbaren, um die
Befreiung von Nebensächlichem und eine ästhetische Farbumsetzung. Vergleichbar dem
französischen Landschaftsmaler Corot verfügt auch Hannelore Born über ein exzellentes Farbgefühl und ein Gespür für malerische Formen‚ was ihren Landschaftsbildern den hohen und überaus reizvollen Stimmungsgehalt verleiht. Im Gegensatz zu Camille Corot ist sie jedoch bestrebt, die Zusammensetzung der Naturelemente nach der eigenen Empfindung im Bild nachzuvollziehen und von einer Naturerfahrung auszugehen, in der das kleinste Element zwar unverwechselbar erscheint, für die Bildwerdung aber von untergeordneter Bedeutung ist. Selbst da, wo topographische Bezüge oder Einfassungen auftauchen, nutzt sie die Landschaft mehr zur visuellen Inspiration, die sie durch feine Farbstufungen modelliert und m einem großartigen Stimmungsbild steigert. Gerade die von ihr bevorzugten Landschaftsmalerei, in der die Farbe zum hauptsächlichen Ausdrucksträger optischer Erlebnisfähigkeit und eigener Befindlichkeit wird, lässt ihren ganzen Gefühlsreichtum erkennen, der in die bildnerische Umsetzung einfließt und zum wahrhaftigen Ausdruck beiträgt. Nicht zuletzt setzt sie, mit Karin Thomas gesprochen, auf eine „geheime Sehnsucht nach Heilung der zerstörten Welt durch spirituelle Kräfte der Kunst“.
Schon deshalb strebt sie nicht nach herkömmlichen Landschaftskompositionen im Sinne idealisierender Überhöhung der Natur, sondern sucht mit wenig ausdrucksstarken Mitteln ihrem Wesen so nah wie möglich zu kommen und statt der morphologischen Struktur der Landschaft ausdrucksvolle, poetische Metaphern zu finden. Auf dem Weg dahin strebt sie nach einer Harmonisierung der Farben, einem Gleichklang mit zarten fließenden Übergängen, wobei keine der Farben sich vordrängt. Sowohl die kraftvollen dunklen Töne als auch die vom Licht durchflutenden hellen Partien sind dem natürlich wirkenden Kolorit untergeordnet Ob nun kompositorische Ausgewogenheit, nuancierter Reichtum oder virtuose Handhabung deckender Öl- oder halbtransparenter Wasserfarben wie auch der farbiger Pastellkreiden: zusammengenommen tragen sie zur besonderen ästhetischen Qualität der Bilder bei, in denen eine entrückte Bewegungslosigkeit und zeitlose Stille, Harmonie und nicht selten auch Melancholie herrschen.

Melancholie ist ein willkommenes Stichwort zur Überleitung. Das breite Spektrum der Natur- und Stadtlandschatten in dieser Ausstellung kann nicht vergessen machen, dass Hannelore Born auch andere Sujets gekonnt bedient. Stellvertretend sei an dieser Stelle das sehr frühe Selbstbildnis von 1971 „Selbst nach Saskia‘ genannt, dass in gewisser Weise als Schlüsselbild für psychologische Durchdringung steht. In diesem Bildnis sucht die feinsinnige Malerin durch die Konfrontation mit der eigenen Wirklichkeit den nachhaltigen Kontakt zum Betrachter. Das populär gewordene Vorbild von Rembrandt, der im 17. Jahrhundert als Meister der Porträtmalerei galt, findet hier gleichnishaft Verwendung und ist als gelungener Versuch der Selbstreflexion einzustufen. Eine stilistische Verwandtschaft zeigt sich vor allem im melancholisch geneigten Haupt, dem gedankentiefen Gesichtsausdruck und im gebrochenen Licht. Mehr noch im pastosen Farbauftrag, durch den die Farbe substanziell wirksam wird. Und es sind die delikaten Mischfarben, die durch Über- und Ineinanderlagerungen entstanden sind und sich dadurch zu meisterlicher Farbkultur steigern.
Apropos Farbkultur! Sie darf als Markenzeichen und als Siegel für das bisherige Lebenswerk von Hannelore Born geltend gemacht werden. Ein Lebenswerk, in dem Wirklichkeit und Vorstellung, Identität und Fiktion sich mit sinnlicher Farbigkeit zu einer malerischen Struktur verschränken, die nichts Künstliches enthält.

Unbeeindruckt von modischen Tendenzen und Verrenkungen des schrillen und unberechenbaren Kunstmarktes arbeitet die zurückhaltende Einzelgängerin an ihrem Sinnbild der Landschaft, das ohne Farbstürme oder Formexplosionen auskommt und dennoch expressiv zu nennen ist. Über diese Schönheit der vitalen Bilder hinaus kann man neben der Inspiration, die Hannelore Born vor dem konkreten Landschaft erfährt, zugleich die hochsensible Niederschrift ihrer Reflexionen nachvollziehen. So erfährt man als Betrachter entscheidendes über die leidenschaftliche Arbeit an der bildnerischen Bewältigung der Natur und des menschlichen Daseins, aber auch viel über Temperament und intensive Erlebnisfähigkeit dieser Malerin. Und nicht nur das. Man begreift das Werk einer Frau, deren subjektive Auffassung durch alle Schaffensphasen hindurch unlösbar an ein künstlerisches Selbstverständnis gebunden ist‚ das auf einem in sich ruhenden Selbstbewusstsein aufbaut.

Lieberose, Mai 2011