Hannelore Born - Malerei - Texte
 
 
Texte
2019 | Berlin
Dr. Gabi Ivan:
Apropos Farbkultur
Rede zur Ausstellung von Hannelore Born im INSEL-Kabinett 8 der INSELGALERIE Berlin vom 24. Oktober bis 23. November 2019

Das 8. INSEL-Kabinett bietet einen kleinen repräsentativen, wenn auch unvollständigen Überblick aus den intensivsten, produktivsten und zugleich reifsten Arbeitsperioden des mehr als 50 Jahre währenden Schaffens der Malerin Hannelore Born anlässlich ihres 80. Geburtstages am 11. November 2019.
Vieles an Themen und Darstellungsweisen der Künstlerin ist bereits im Frühwerk angelegt. Die leidenschaftliche Malerin schafft Porträts in Öl, auch Stillleben und vor allem beeindruckende Landschaften, die schließlich ihr Schaffen dominieren. Große „Seestücke“ und Naturerscheinungen malt sie nicht nur an der Ostsee, sondern auch am bulgarischen und sowjetischen Schwarzen Meer, nach 1990 am englischen und portugiesischen Atlantik, in Holland und Schweden. Die Gesundheit versagt ihr zwar ein lebenslanges Freiluft-Malen, aber sie ist eine Meisterin des inneren Nachbildens, das bei der späteren Umsetzung des Erschauten durch skizzierte Notizen gestützt wird.
 
Unter den großen Meeres-Serien sticht die unter dem Titel Licht - Luft - Meer hervor. Mehrere, meist großformatige Gemälde, die den gleichen Titel wie die Serie tragen, gehören dazu, eines davon hängt in dieser Ausstellung. Wie dieses widmen sich alle Bilder den gleichen Phänomenen: Wolken und Wasser, Himmel und Licht – diese scheinen miteinander zu tanzen, zu ringen, zu verschmelzen in stürmischen, regnerischen oder gleichmütigen Wettern. Die immer gleiche Komposition erinnert fast an concept art: eine vorlugende, zuweilen zurückweichende Horizontlinie teilt die Bildflächen in ruhige Rechtecke, die das Harmonische des Bildformats aufnehmen und die unbändigen Vorgänge fixieren. Vielleicht liegt hierin die meditative Wirkung dieser Bilder auf uns Betrachter. Diese wird getragen von Ahnungen und Gewissheiten angesichts der Kraft und Macht solch flüchtiger und formwechselnder Erscheinungen der Natur und deren Eigenleben, in dem Menschen keine Rolle spielen. Die unruhige, expressive Malweise – zerfetzende Pinselhiebe, scheinbar chaotisch und zuweilen auch versöhnlerisch – bewirken die innere Dramatik dieser Bilder, ihren Energiegehalt. Unausweichlich, wie eine Wand, steht das Geschehen, als Malereignis in eine Fläche ohne Raum gebracht, vor uns – nah und doch entrückt. Ja, es sind starke Bilder, deren lichtem Blau helle Grau- und Gelbtöne antworten und die an die Weite des Meeres gemahnen, obgleich dieses nur in einem Ausschnitt gefasst ist. Überhaupt das Blau. Es intoniert in allen Nuancen dieser mehr als 30 Ölbilder zählende Gruppe, vom Naturschauspiel der Sonnenauf- und -untergänge bis zu Küstenansichten, die alle um das Thema Licht - Luft - Meer kreisen.
 
Und Hannelore Born ist mutig: Sie malt sich 180 Jahre später eine eigene Version des berühmten Gemäldes Mönch am Meer oder auch Wanderer am Gestade, das Caspar David Friedrich 1808-10 malte und das durch seine radikale Landschaftsauffassung einen Paukenschlag in die Kunstgeschichte seiner Zeit setzte – aus einer Reaktion auf schwierige, von Umbrüchen gekennzeichneten Zeiten heraus. Ich meine schon, dass Hannelore Born sich angesichts unserer Gegenwart durchaus zu den Ideen der deutschen Romantik hingezogen fühlt. Sie kopiert das Bild allerdings nicht, sie räumt es etwas auf, weiße Schaumkämme und Möwen fehlen, und maltechnisch ist sie natürlich von den veränderten Darstellungsweisen ihrer eigenen Zeit geprägt.
Etwas lichter und hoffnungsvoller, also weniger verhängnisvoll als bei Friedrich, scheint der Bornsche Himmel über dem Meer, vor dem der Mensch, wie eine kleine Brücke, ein winziger Atlant (?), ein Gast zwischen Erde und Himmelsgewölbe erscheint.
Caspar David Friedrich selbst schreibt im Jahr 1809 über sein Bild an einen Freund: „Da hier einmal von Beschreibungen die Rede ist, so will ich Ihnen eins meiner Beschreibungen mitheilen, über eins meiner Bilder so ich nicht läng[s]t [unlängst] Vollendet habe; oder eigentlich, meine Gedanken, über ein Bild; den[n] Beschreibung kann es wohl nicht genannt werden. Es ist nemlich ein Seestük, Vorne ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strande geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreiet um ihn her, als wollten sie Ihm warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest [wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!“ (Büsing, Leander: Vom Versuch, Kunstwerke zweckmäßig zusammenzustellen: Malerei und Kunstdiskurs im Dresden der Romantik, Dortmund 2011).
 
Hannelore Borns Bilder werden ihrer Motive wegen manchmal als leise bezeichnet, was für ihr tiefes inneres Erleben und den Respekt vor der Natur als Schöpfung auch zutrifft. Aber als Malerin hat sie sich stetig entwickelt – ihre stilistisch impressionistischen Anfänge in dynamisch-abstrakte, freie Malweisen gewandelt und die Farben zunehmend expressiver gewählt.
Dies wird schon während ihrer Ausbildung angelegt, die Hannelore Born vorerst in Abendkursen während ihrer Tätigkeit in der Bezirksverwaltung für Finanzwirtschaft beginnt. Diese liegt in einem Gebäude gegenüber der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, die offensichtlich eine magnetische Wirkung auf die junge Frau ausübt.  
Bis dahin hatte sie einen Jahrhundertlebenslauf hinter sich, wie viele andere Umsiedler auch, mit dem Flüchtlingstreck der Familie aus dem heimatlichen Niederschlesien übers Erzgebirge bis in die Dresdner Ecke. Und nun nimmt die einstige Bauerntochter dort bei vorzüglichen Lehrern ein Kunststudium auf!

Zuerst ist Gerhard Kettner (1928-1993) zu nennen, ein begnadeter Zeichner – die Kugelschreiberzeichnungen mit Dresdener Motiven gehen vermutlich auf seinen Einfluss zurück und zeigen uns die Motive wie gewebt aus unprätentiösen, nervös einfangenden, verlebendigenden Linien. Später zeichnet Hannelore Born lieber in den der Malerei näheren Techniken Aquarell und Pastell.
Und dann ist es der Maler Herbert Kunze (1913-1981), der als Dozent die Formensprachen der Klassischen Moderne seit dem Kubismus sicher nicht offiziell lehrte, aber garantiert die Studenten damit vertraut machte. Er selbst gilt als einer der wichtigsten Vertreter des sog. Dresdner Informel. In seinem Sinne arbeitet auch Hannelore Born. Sie gestaltet – ich möchte fast meinen, sie konstruiert – einige ihrer realistischen Natur- und Waldbilder kühn aus breitflächigen abstrakten Formen. Sie komponiert streng horizontal und vertikal und erschafft mit breiten Pinseln farbige Flächen, die sich zu einer Ansicht von großer poetischer Strahlung fügen, z.B. das Pastell Bucher Wald [WN 355]. Ein anderes Beispiel ist eine Malerei, die Hannelore Born erst 30 Jahre nach dem Studium bei Kunze, nämlich 2003, schuf und die nur auf diesen Lehrer zurückzuführen sein kann, aus Verehrung vielleicht? Dargestellt ist laut Titel die Papierfabrik in Eberswalde, deren Motiv zum Anlass für ein ikonengleich feuriges, abstraktes Bild wurde.
 
Natürlich ist Hannelore Born immer neugierig auf die Kunst ihrer Kollegen, sie besucht Ausstellungen, auch auf Reisen und pflegt langjährige Künstlerfreundschaften. Besondere Bedeutung für sie hat die Begegnung mit dem alten Otto Niemeyer-Holstein (1896-1984) ein Jahr vor seinem Tod, Mitte der 1980er Jahre, mit dem sie sich verbunden fühlte und von dem sie viel Anregung und Bestätigung erfuhr. Ähnlich wie er auf Usedom lebte, lebt sie mit ihrer Familie ebenfalls weit weg vom urbanen Trubel – draußen am Rand von Berlin, in einem von Grün umwucherten Refugium, Eignerin eines Atelierhauses, das die Familie selbst errichtet hatte. Ihr Werk wurde geschätzt und sie wurde nicht mit öffentlichen Aufträgen bedrängt. So schuf sie, fast im Verborgenen, ein heiter-ernstes Werk, malerisch anspruchsvoll, vielseitig und energiegeladen, das wir mit dieser Ausstellung würdigen.
 
Berlin, 24.10.2019
 
2011 | Prenzlau

Herbert Schirmer:
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung von Hannelore Born am 21. Mai 2011 im  Dominikanerkloster in Prenzlau

Vor genau vierzig Jahren schloss Hannelore Born das Studium der Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Dresden bei Gerhard Kettner und Rudolf Bergander ab. Seitdem lebt und arbeitet sie in als freiberufliche Künstlerin in Panketal/ Schwanebeck. Was sich seit dem Studium und dem gegenwärtigen künstlerischen Schaffen leitmotivisch abzeichnet, könnte man am ehesten als Sinnzusammenhang der Existenz alles Kreatürlichen und Natürlichen bezeichnen. Ihr stiller, gleichwohl intensiver Bildkosmos, der vom heimatlichen Umfeld bis in viele Gegenden Europas reicht. ist in der eigenen Tradition unaufgeregter Kontinuität und souveräner Behenschung der handwerklichen Mittel aufgehoben. Hinzu kommt eine großzügige Sichtweise, in der sie die Natur als erhabene Dimension, als Lebensraum wahrnimmt und reflektiert, ohne die Bindung zum Geschauten und Erlebten aufzugeben. Hierfür sind neben Seherlebnissen anschauliche Erfahrung und organische Durchdringung genau so wichtige Voraussetzungen wie die hoch entwickelte sensible Beobachtungsgabe und ihr untrüglicher Sinn für die ursprüngliche Landschaftsgestalt. Licht, Wetterphänomene, Wasser und Wolken, ein Blütenblatt oder ein Gesichtsausdruck sind Erscheinungen, die sie einem malerischen Wandel unterwirft. Zwischen behutsam angelegter Sinnesempfindlichkeit, lyrischer Lebendigkeit und sich auflösender Gegenständlichkeit verarbeitet sie die Unmittelbarkeit ihrer Beobachtungen zu poetisch beschriebenen Darstellungen.
Auch wenn der real erlebte Natureindruck als Ausgangserlebnis steht, geht es nicht um wiedererkennbares Abschildern, sondern vielmehr um eine Reduzierung des Sichtbaren, um die
Befreiung von Nebensächlichem und eine ästhetische Farbumsetzung. Vergleichbar dem
französischen Landschaftsmaler Corot verfügt auch Hannelore Born über ein exzellentes Farbgefühl und ein Gespür für malerische Formen‚ was ihren Landschaftsbildern den hohen und überaus reizvollen Stimmungsgehalt verleiht. Im Gegensatz zu Camille Corot ist sie jedoch bestrebt, die Zusammensetzung der Naturelemente nach der eigenen Empfindung im Bild nachzuvollziehen und von einer Naturerfahrung auszugehen, in der das kleinste Element zwar unverwechselbar erscheint, für die Bildwerdung aber von untergeordneter Bedeutung ist. Selbst da, wo topographische Bezüge oder Einfassungen auftauchen, nutzt sie die Landschaft mehr zur visuellen Inspiration, die sie durch feine Farbstufungen modelliert und m einem großartigen Stimmungsbild steigert. Gerade die von ihr bevorzugten Landschaftsmalerei, in der die Farbe zum hauptsächlichen Ausdrucksträger optischer Erlebnisfähigkeit und eigener Befindlichkeit wird, lässt ihren ganzen Gefühlsreichtum erkennen, der in die bildnerische Umsetzung einfließt und zum wahrhaftigen Ausdruck beiträgt. Nicht zuletzt setzt sie, mit Karin Thomas gesprochen, auf eine „geheime Sehnsucht nach Heilung der zerstörten Welt durch spirituelle Kräfte der Kunst“.
Schon deshalb strebt sie nicht nach herkömmlichen Landschaftskompositionen im Sinne idealisierender Überhöhung der Natur, sondern sucht mit wenig ausdrucksstarken Mitteln ihrem Wesen so nah wie möglich zu kommen und statt der morphologischen Struktur der Landschaft ausdrucksvolle, poetische Metaphern zu finden. Auf dem Weg dahin strebt sie nach einer Harmonisierung der Farben, einem Gleichklang mit zarten fließenden Übergängen, wobei keine der Farben sich vordrängt. Sowohl die kraftvollen dunklen Töne als auch die vom Licht durchflutenden hellen Partien sind dem natürlich wirkenden Kolorit untergeordnet Ob nun kompositorische Ausgewogenheit, nuancierter Reichtum oder virtuose Handhabung deckender Öl- oder halbtransparenter Wasserfarben wie auch der farbiger Pastellkreiden: zusammengenommen tragen sie zur besonderen ästhetischen Qualität der Bilder bei, in denen eine entrückte Bewegungslosigkeit und zeitlose Stille, Harmonie und nicht selten auch Melancholie herrschen.

Melancholie ist ein willkommenes Stichwort zur Überleitung. Das breite Spektrum der Natur- und Stadtlandschatten in dieser Ausstellung kann nicht vergessen machen, dass Hannelore Born auch andere Sujets gekonnt bedient. Stellvertretend sei an dieser Stelle das sehr frühe Selbstbildnis von 1971 „Selbst nach Saskia‘ genannt, dass in gewisser Weise als Schlüsselbild für psychologische Durchdringung steht. In diesem Bildnis sucht die feinsinnige Malerin durch die Konfrontation mit der eigenen Wirklichkeit den nachhaltigen Kontakt zum Betrachter. Das populär gewordene Vorbild von Rembrandt, der im 17. Jahrhundert als Meister der Porträtmalerei galt, findet hier gleichnishaft Verwendung und ist als gelungener Versuch der Selbstreflexion einzustufen. Eine stilistische Verwandtschaft zeigt sich vor allem im melancholisch geneigten Haupt, dem gedankentiefen Gesichtsausdruck und im gebrochenen Licht. Mehr noch im pastosen Farbauftrag, durch den die Farbe substanziell wirksam wird. Und es sind die delikaten Mischfarben, die durch Über- und Ineinanderlagerungen entstanden sind und sich dadurch zu meisterlicher Farbkultur steigern.
Apropos Farbkultur! Sie darf als Markenzeichen und als Siegel für das bisherige Lebenswerk von Hannelore Born geltend gemacht werden. Ein Lebenswerk, in dem Wirklichkeit und Vorstellung, Identität und Fiktion sich mit sinnlicher Farbigkeit zu einer malerischen Struktur verschränken, die nichts Künstliches enthält.

Unbeeindruckt von modischen Tendenzen und Verrenkungen des schrillen und unberechenbaren Kunstmarktes arbeitet die zurückhaltende Einzelgängerin an ihrem Sinnbild der Landschaft, das ohne Farbstürme oder Formexplosionen auskommt und dennoch expressiv zu nennen ist. Über diese Schönheit der vitalen Bilder hinaus kann man neben der Inspiration, die Hannelore Born vor dem konkreten Landschaft erfährt, zugleich die hochsensible Niederschrift ihrer Reflexionen nachvollziehen. So erfährt man als Betrachter entscheidendes über die leidenschaftliche Arbeit an der bildnerischen Bewältigung der Natur und des menschlichen Daseins, aber auch viel über Temperament und intensive Erlebnisfähigkeit dieser Malerin. Und nicht nur das. Man begreift das Werk einer Frau, deren subjektive Auffassung durch alle Schaffensphasen hindurch unlösbar an ein künstlerisches Selbstverständnis gebunden ist‚ das auf einem in sich ruhenden Selbstbewusstsein aufbaut.

Lieberose, Mai 2011

1992 | Lippstadt

Herbert Schirmer:
Die Natur war hier nicht Vorbild für ein Abbild
Laudatio zur Ausstellungseröffnung 1992 in Lippstadt

Die Darstellung erscheint mir eher zum Sinnbild zu neigen? – Oder sollte sie mehr ein Lebenssymbol sein? – Sei es so, wie es sei! Dieses knappe Entree, das ich als knappes Kürzel voranstellen möchte, wäre das, was ich als künstlerisches und philosophisches Credo von Hannelore Kirchhof-Born bezeichnen möchte...
Mit empfindsamen Eigensinn hat sie das, was als die sogenannte Dresdner Malkultur in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist, für sich entdeckt und verarbeitet. Dresdner Malkultur – d.h. vor allem freie poetische Komposition und ein sensibler feintoniger Kolorismus, der in Anlehnung an die Naturerscheinung entstand und in dem Farbe, Licht und Bewegung wichtige Komponenten darstellen.
Hannelore K.-Born hat von 1966 bis 1971 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden u.a. bei Gerhard Kettner und Rudolf Bergander studiert. Das Streben nach malerischer Vollendung stand und steht deshalb für sie vor der immer mehr zum Zwang gewordenen Mission, intellektuell verklausulierte Botschaften zu übermitteln.
Sie zielt auch mehr auf die gefühlvolle Durchdringung des ausgewählten Bildgegenstandes. Aus einem unerschöpflich erscheinenden Reservoir an Zwischentönen mit irritierenden Nuancen schafft sie, abseits vom lauten, selbstgefälligen und großstädtischen Kunstbetrieb, am Rande von Berlin, ein malerisches Werk, das im Grunde auf einer lapidaren Bildordnung und der Suggestion der Farbe aufbaut.
Kein Gegenstand ist dem anderen untergeordnet. Vielmehr werden die Gegenstände im Raum wie der Raum selbst – in einem Zuge elementarer Wesensdeutung – zu gleichberechtigten Erscheinungen des Daseins interpretiert, die Farbe dominiert die Struktur der Bilder, deren Wirkung trotz der hellen und leuchtenden Farbskala, eher gedämpft als lebhaft erscheint.
Naturhafter Realismus und eine fast schmerzhaft wirkende Stille finden hier zu einer harmonischen Synthese. Über das übliche Naturerlebnis und deren kommentarloser Abschilderung hinaus das Wesen der Landschaft zu erfassen und mit einer inneren Vertiefung zu bereichern, findet Hannelore K.-Born zu einer Malerei, die kraftvoll und lyrisch zugleich die Frage nach dem Stil und anderen Einordnungsversuchen überflüssig macht.
Die sichtbare Entsprechung für eine Fülle von Eindrücken nicht nur visueller Art, die in ihren Arbeiten zu integrierenden Bestandteilen eines einheitlichen Ganzen werden, rücken Hannelore K.-Born aus dem Verdacht, eine späte – eine zu späte Impressionistin zu sein.
Im Gegenteil. Alle ihre Landschaften gehen über den unmittelbaren, sinnlich wahrgenommenen Natureindruck hinaus. Sie fixiert nicht den raschen Witterungs- und Farbenwechsel, die Tagesstimmung oder das typische Panorama von Gewässern, Wäldern und Lüften, das freie Spiel der Elemente, nicht das Flüchtige, nicht das Momentane sind ihr wichtig, sondern ihr ganz subjektives Verhältnis dazu, ihre persönlichen Stimmungen und Erfahrungswerte. Sie malt nicht das Wasser, sondern ein vielschichtig tiefes Blau. Sie stellt nicht den Kontrast dar, sondern den Zusammenhang von Formen und Farben, in den sie korrigierend und gestaltend eingreift.
Die farblichen und formalen Mittel werden dabei so eingesetzt, wie ihr die Komposition aufgrund der persönlichen Empfindung vorschwebt oder wie sie sich mit eben diesen Erfahrungen von bestimmten, realen oder fiktiven Landschaften trifft. Nur so gelingt es ihr, selbst im unscheinbarsten Naturmotiv eine nicht näher definierbare, geheimnisvolle Stimmung  zu erzeugen. Und nur so öffnet sie dem Betrachter Räume, die vertraut und fremd, die nah und fern zugleich sind, in denen er sich ganz der Meditation hingeben kann.
Mit dieser Art übergreifender Naturanschauung, die auf alles Provinzielle  und auf genrehafte Momente verzichten kann, betont die Künstlerin den Wesensgehalt der Natur als ein Spektrum unterschiedlicher Erscheinungen. Und sie ordnet, was nur wenigen gelingt, das Elementare und das Dekorative zu einer sinnbildlichen Einheit, wobei sie ganz selbstverständlich auf sentimentale Details jener heimat-tümelnden Idealkunst verzichtet, die die Seele der deutschen Kleinbürger seit Jahrhunderten diskret in Schwingung versetzt. Ihre zeitlos anmutende malerische Kraft und Vielschichtigkeit des Ausdrucks funktionieren, ohne daß sie ins schmückende Detail arbeiten muß.
Hannelore K.-Borns Kunst ist leise, eindringlich, und sie ist, was immer seltener wird, auf eine verhaltene  Weise von sinnlicher Schönheit. Ich empfinde es als wohltuend, daß sie nicht lautstark auf die Defizite reagiert, die dem Mythenverlust des 20. Jahrhunderts allgemein folgen und daß sie im Gegenzug auch nicht der Ursprünglichkeit einer entfernten Lebenswelt nachtrauert.
Ihre Bilder können allerdings zum unauffälligen Prüfstein für die psychische Erlebnisfähigkeit für uns als Betrachter werden, insbesondere dann, wenn wir, zugegeben oder nicht, ob der streng vergesellschafteten und straff durchorganisierten Existenzbedingungen an Individualität eingebüßt haben. 

1990 | Katalog

Stefan Skowron:
Katalog zur Ausstellung 'Landschaftsbilder', 1990 in Frankfurt/ Oder

(..) Nicht allein die Landschaft oder das Schauspiel des Wetters, nicht Wind, Wasser, Land sind es, die sich darin finden. Vielmehr entstehen Arbeiten, in denen vor dem Hintergrund Natur all das erscheint, was zwischen Maler und Motiv besteht besteht und von Betrachter zu Betrachter verschieden beschrieben werden muesste und da macht es zuletzt nur wenig wundern, wenn die Malerin von der Idee fasziniert ist, „Luft zu malen“, um dieses Dazwischen mitzuteilen. (...)

in: Stefan Skowron: Medium der Meditation. Hannelore Kirchhof-Born, Künstler aus dem Bezirk Frankfurt (Oder) 2. Landschaftsbilder, Zentrum für künstlerische Werkstätten der bildenden Kunst Frankfurt (Oder) (Hrsg.), Frankfurt (Oder) 1990, Seite 10.

1989 | Katalog   
Marina Linde:
Katalog zur Ausstellung von Hannelore Kirchhof-Born, 1989 in der Kunstgalerie Altes Rathaus in Fürstenwalde/ Spree

Das „Selbstbildnis als Saskia mit roter Blume“ von 1971 ist eines der fruehesten wichtigen, bis heute gueltigen Bilder der Malerin Hannelore Born. Kurz nach Beendigung ihres Studiums entstanden, sagt es viel aus ueber seine Schoepferin. Das Bild zeugt vom Sich-frei-machen von akademischen Anforderungen, es spricht von dem Willen der jungen Malerin, subjektives Empfinden sinnlich erlebbar umzusetzen. Eine fuer die Kuenstlerin beinahe ungewoehnliche Heftigkeit. Innere Unruhe gespannte erregung und Erwartung bestimmen das Bild. Die rote Farbe des Kleides verleiht der beinahe alterslos wirkenden schwangeren Frau etwas Majestaetisches.
Dieses wie viele der spaeter entstandenen Bilder Bannelore Borns erschliesst seinen ganzen Reichtum nicht sofort, sondern erst dem aufmerksamen Betrachter, der sich oeffnet und sensibilisieren laesst. Solche Bilder draengen nicht die in ihnen artikulierte Weltsicht auf, sondern provozieren den Dialog.
Auch ueber kuenstlerische Orientierungen und Ueberzeugungen der kuenstlerin ist durch dieses Bild etwas zu erfahren. Trotz der Anlehnung an den grossen Meister Rembrandt kommt individuellstes empfinden und Wollen zum Ausdruck. Die unruhevolle Ungewissheit in dem bilde bekommt etwas Prophetisches, sofern man weiss, dass Hannelore Born zunaechst nicht ihren kuenstlerischen Werdegang weiterverfolgen konnte, sondern von familiaeren Anforderungen in Anspruch genommen wurde. Zwei bis drei Jahre spaeter gelang ihr mit Unterstuetzung ihrer Familie ein neuer Anfang. Studienfahrten vor allem in die Sowjetunion gaben ihr neue Anregungen. Ihr Schaffen wird bestimmt durch Landschafts- und Portraetmalerei, wenige Stilleben.
N einer Reihe von Bildern der „Weissen Periode“ der siebziger Jahre, die zum Teil nach Eindruecken ihrer Reisen entstanden wie z.B Newa von 1976/77 und Am Newski Kloster von 1977 oder Die Peter-und-Paul-Kathedrale, Leningrad, 1973, kuendigt sich schon das stark meditative Element der gleichzeitig beginnenden meeresbilder an.
Die mit einem feinen Gefuehl fuer auserlesene Farben Begabte entspricht in der Sparsamkeit der Farben ihrem Sujet, aber auch ihrer Vorliebe, Poetisches, Stimmunghaftes, zu einem Teil ihrer Selbst Gewordenes auszudruecken. Die Bilder Hannelore Borns sind zeitlos, im Grundtenor heiter und bejahend; den Betrachter bejahend, ihn annehmend mit seinen Zweifeln und Beduerfnissen. Sie sind unverkrampft, kommunikativ, sinnlich, nicht kopflastig. Das unbedingte Vermeiden von Pathos fuehrt zu beinahe kuehler Ausstrahlung.

Hannelore Born ist eine ruhige, bestaendige Arbeiterin, die ihre inneren Bilder malt, die sie von der Natur empfangen hat. Sie greift Atmosphaerisches auf, das ihr entspricht und das sind fast immer die Seele erhebende, erweiternde Stimmungen. Ihre Landschaften erwecken Ahnungen. Unbegrenzte Weite wird zu einem Gefuehl von Leichtigkeit, zu einem Freiheitsgefuehl. In vielen Ihrer Bilder spielen Licht und Luft eine Rolle, verstaerkt aber in den Meereslandschaften, die zu einem Medium der Meditation werden. In den Meereslandschaften verdichtet und verknappt sich das Anliegen ihrer Malerei. Durchbrechendes Licht schafft Naehe und Kontrast zur Ferne des Horizonts. Die dunkle Meeresflaeche bringt die Tiefe des Meeres hervor.

Von 1984 und 1985 stammen zwei Bilder, die Duenen im Meer zeigen. Man glaubt, die Luft zu spueren, das Meer zu riechen. Die Malerin liebt das Licht, das sich viele Male in den Wolken und auf de rOberflaeche des Meeres bricht. Das Motiv fordert sich herausbildende Meisterschft, wird zur Probe des Koennens. Ueberraschung und Faszination angesichts von Vorgaengen der Natur halten bei Hannelore Born weiterhin an und fuehren zu neuen Ergebnissen. Neben den Meeresbildern entstehen Landschaften wie Wolken in Neubuch, Stilleben wie Flaschen oder Sonnenblume.
Die Vorstudien der Malerin sind ganz zarte Pastelle, fein wie Seidenstoff. Sie haben schon die intensive Lichteinwirkung der Sonne inm Ausdruck.
Eines der fruehen Bilder, das den Meeresmotiven schon sehr nahe kommt, ist Am Neuhofer See von 1978. Es ist karg, voller Poesie- der verregnete Tag, der verhangene Himmel, der nebel ueber dem See ist grau, aber er huellt ein, erwaermt. Der Gleichklang der Bilder baut auf einem Geruest von bewegten, heftigen Pinselstrichen auf, darueber wird dann gezielt die endgueltige Farbabstufung erarbeitet. Hohen Anspruechen genuegen duerfte die sensitive, sinnlich erlebbare Malkultur, die mit besten Traditionen der Dresdner Malerei verbunden bleibt. Bis in die kleinste Flaeche ist jedes Bild gemalt. Grundsaetzlich ist ein geistiges Anliege zu spueren, ein Anschauen der Seele durch das gemalte Objekt.

In den Portraets ist dieses doppelte Moment, die Begegnung zwischen der Malerin und dem Modell, der üprozess dieser Beziehung und das Zusammentreffen von Augenblick und Ewigkeit. Moeglichst praezise wird die Psyche des Dargestellten erfasst und doch auch in einem Halbdunkel belassen. Ein Bereich des Unantastbaren bleibt bestehen, der nicht preisgegeben wird.(...) Im Bildnis wird Hannelore Borns Haltung anderen Menschen gegenueber deutlich, die grundsaetzliche Achtung, das vorsichtige Eindringen in die Psychologie des Anderen. Ein Rest von Unergruendbaren bleibt, dessen Grenze nicht ueberschritten wird. Auch scheinbar leere Flaeche ist gemalt, bewegt und Traeger psychologischen Inhalts. Uch hier groesste Sparsamkeit beim Einsatz der Mittel. Kuehle Farben, wie blau, violett gehen ein harmonisches Gefuege ein mit braun und rot. Wesentlich sind Gesicht und Haende. Die Malerin vermeidet es zu typisieren, ueberscharf zu analysieren, sie belaesst ihr Gegenueber in einer Zurueckhaltung,d ie seinen grossen Charme ausmacht. Die geringe Geste der Portraetierten aus dem Bild heraus fordert auf zum naeheren Betrachten und schirmt zugleich ab.
Hannelore Born geht in ihrem Schaffen einen konsequenten Weg, der durch ihre Persoenlichkeit, ihre Art der Empfindung vorgegeben zu sein scheint. Ueberraschende Experimente oder scharfe Brueche haben darin wenig Platz. Ganz im Stillen aber vollzieht sich in diesem malerischen Werk Wandlung und Reifung, erfuellt sich von Stufe zu Stufe eine kuenstlerische Anschauung der Welt.