1992 | Lippstadt |
Herbert Schirmer:
Die Natur war hier nicht Vorbild für ein Abbild Laudatio zur Ausstellungseröffnung 1992 in Lippstadt
Die
Darstellung erscheint mir eher zum Sinnbild zu neigen? – Oder sollte
sie mehr ein Lebenssymbol sein? – Sei es so, wie es sei! Dieses knappe
Entree, das ich als knappes Kürzel voranstellen möchte, wäre das, was
ich als künstlerisches und philosophisches Credo von Hannelore
Kirchhof-Born bezeichnen möchte... Mit empfindsamen Eigensinn hat sie
das, was als die sogenannte Dresdner Malkultur in die Kunstgeschichte
des 20. Jahrhunderts eingegangen ist, für sich entdeckt und verarbeitet.
Dresdner Malkultur – d.h. vor allem freie poetische Komposition und ein
sensibler feintoniger Kolorismus, der in Anlehnung an die
Naturerscheinung entstand und in dem Farbe, Licht und Bewegung wichtige
Komponenten darstellen. Hannelore K.-Born hat von 1966 bis 1971 an
der Hochschule für Bildende Künste in Dresden u.a. bei Gerhard Kettner
und Rudolf Bergander studiert. Das Streben nach malerischer Vollendung
stand und steht deshalb für sie vor der immer mehr zum Zwang gewordenen
Mission, intellektuell verklausulierte Botschaften zu übermitteln. Sie
zielt auch mehr auf die gefühlvolle Durchdringung des ausgewählten
Bildgegenstandes. Aus einem unerschöpflich erscheinenden Reservoir an
Zwischentönen mit irritierenden Nuancen schafft sie, abseits vom lauten,
selbstgefälligen und großstädtischen Kunstbetrieb, am Rande von Berlin,
ein malerisches Werk, das im Grunde auf einer lapidaren Bildordnung und
der Suggestion der Farbe aufbaut. Kein Gegenstand ist dem anderen
untergeordnet. Vielmehr werden die Gegenstände im Raum wie der Raum
selbst – in einem Zuge elementarer Wesensdeutung – zu gleichberechtigten
Erscheinungen des Daseins interpretiert, die Farbe dominiert die
Struktur der Bilder, deren Wirkung trotz der hellen und leuchtenden
Farbskala, eher gedämpft als lebhaft erscheint. Naturhafter Realismus
und eine fast schmerzhaft wirkende Stille finden hier zu einer
harmonischen Synthese. Über das übliche Naturerlebnis und deren
kommentarloser Abschilderung hinaus das Wesen der Landschaft zu erfassen
und mit einer inneren Vertiefung zu bereichern, findet Hannelore
K.-Born zu einer Malerei, die kraftvoll und lyrisch zugleich die Frage
nach dem Stil und anderen Einordnungsversuchen überflüssig macht. Die
sichtbare Entsprechung für eine Fülle von Eindrücken nicht nur
visueller Art, die in ihren Arbeiten zu integrierenden Bestandteilen
eines einheitlichen Ganzen werden, rücken Hannelore K.-Born aus dem
Verdacht, eine späte – eine zu späte Impressionistin zu sein. Im
Gegenteil. Alle ihre Landschaften gehen über den unmittelbaren, sinnlich
wahrgenommenen Natureindruck hinaus. Sie fixiert nicht den raschen
Witterungs- und Farbenwechsel, die Tagesstimmung oder das typische
Panorama von Gewässern, Wäldern und Lüften, das freie Spiel der
Elemente, nicht das Flüchtige, nicht das Momentane sind ihr wichtig,
sondern ihr ganz subjektives Verhältnis dazu, ihre persönlichen
Stimmungen und Erfahrungswerte. Sie malt nicht das Wasser, sondern ein
vielschichtig tiefes Blau. Sie stellt nicht den Kontrast dar, sondern
den Zusammenhang von Formen und Farben, in den sie korrigierend und
gestaltend eingreift. Die farblichen und formalen Mittel werden
dabei so eingesetzt, wie ihr die Komposition aufgrund der persönlichen
Empfindung vorschwebt oder wie sie sich mit eben diesen Erfahrungen von
bestimmten, realen oder fiktiven Landschaften trifft. Nur so gelingt es
ihr, selbst im unscheinbarsten Naturmotiv eine nicht näher definierbare,
geheimnisvolle Stimmung zu erzeugen. Und nur so öffnet sie dem
Betrachter Räume, die vertraut und fremd, die nah und fern zugleich
sind, in denen er sich ganz der Meditation hingeben kann. Mit dieser
Art übergreifender Naturanschauung, die auf alles Provinzielle und auf
genrehafte Momente verzichten kann, betont die Künstlerin den
Wesensgehalt der Natur als ein Spektrum unterschiedlicher Erscheinungen.
Und sie ordnet, was nur wenigen gelingt, das Elementare und das
Dekorative zu einer sinnbildlichen Einheit, wobei sie ganz
selbstverständlich auf sentimentale Details jener heimat-tümelnden
Idealkunst verzichtet, die die Seele der deutschen Kleinbürger seit
Jahrhunderten diskret in Schwingung versetzt. Ihre zeitlos anmutende
malerische Kraft und Vielschichtigkeit des Ausdrucks funktionieren, ohne
daß sie ins schmückende Detail arbeiten muß. Hannelore K.-Borns
Kunst ist leise, eindringlich, und sie ist, was immer seltener wird, auf
eine verhaltene Weise von sinnlicher Schönheit. Ich empfinde es als
wohltuend, daß sie nicht lautstark auf die Defizite reagiert, die dem
Mythenverlust des 20. Jahrhunderts allgemein folgen und daß sie im
Gegenzug auch nicht der Ursprünglichkeit einer entfernten Lebenswelt
nachtrauert. Ihre Bilder können allerdings zum unauffälligen
Prüfstein für die psychische Erlebnisfähigkeit für uns als Betrachter
werden, insbesondere dann, wenn wir, zugegeben oder nicht, ob der streng
vergesellschafteten und straff durchorganisierten Existenzbedingungen
an Individualität eingebüßt haben.
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