2019 | Berlin |
Dr. Gabi Ivan:
Apropos Farbkultur Rede zur Ausstellung von Hannelore Born im INSEL-Kabinett 8 der INSELGALERIE Berlin vom 24. Oktober bis 23. November 2019
Das 8. INSEL-Kabinett bietet
einen kleinen repräsentativen, wenn auch unvollständigen Überblick aus den
intensivsten, produktivsten und zugleich reifsten Arbeitsperioden des mehr als
50 Jahre währenden Schaffens der Malerin Hannelore Born anlässlich ihres 80.
Geburtstages am 11. November 2019.
Vieles an Themen und
Darstellungsweisen der Künstlerin ist bereits im Frühwerk angelegt. Die
leidenschaftliche Malerin schafft Porträts in Öl, auch Stillleben und vor allem
beeindruckende Landschaften, die schließlich ihr Schaffen dominieren. Große „Seestücke“
und Naturerscheinungen malt sie nicht nur an der Ostsee, sondern auch am bulgarischen
und sowjetischen Schwarzen Meer, nach 1990 am englischen und portugiesischen
Atlantik, in Holland und Schweden. Die Gesundheit versagt ihr zwar ein
lebenslanges Freiluft-Malen, aber sie ist eine Meisterin des inneren Nachbildens,
das bei der späteren Umsetzung des Erschauten durch skizzierte Notizen gestützt
wird.
Unter den großen
Meeres-Serien sticht die unter dem Titel Licht
- Luft - Meer hervor. Mehrere, meist großformatige Gemälde, die den gleichen
Titel wie die Serie tragen, gehören dazu, eines davon hängt in dieser
Ausstellung. Wie dieses widmen sich alle Bilder den gleichen Phänomenen: Wolken
und Wasser, Himmel und Licht – diese scheinen miteinander zu tanzen, zu ringen,
zu verschmelzen in stürmischen, regnerischen oder gleichmütigen Wettern. Die immer
gleiche Komposition erinnert fast an concept
art: eine vorlugende, zuweilen zurückweichende Horizontlinie teilt die
Bildflächen in ruhige Rechtecke, die das Harmonische des Bildformats aufnehmen
und die unbändigen Vorgänge fixieren. Vielleicht liegt hierin die meditative
Wirkung dieser Bilder auf uns Betrachter. Diese wird getragen von Ahnungen und
Gewissheiten angesichts der Kraft und Macht solch flüchtiger und
formwechselnder Erscheinungen der Natur und deren Eigenleben, in dem Menschen
keine Rolle spielen. Die unruhige, expressive Malweise – zerfetzende Pinselhiebe, scheinbar chaotisch und zuweilen auch versöhnlerisch
– bewirken die innere Dramatik dieser
Bilder, ihren Energiegehalt. Unausweichlich, wie eine Wand, steht das
Geschehen, als Malereignis in eine Fläche ohne Raum gebracht, vor uns – nah und doch entrückt. Ja, es sind
starke Bilder, deren lichtem Blau helle Grau- und Gelbtöne antworten und die an
die Weite des Meeres gemahnen, obgleich dieses nur in einem Ausschnitt gefasst
ist. Überhaupt das Blau. Es intoniert in allen Nuancen dieser mehr als 30
Ölbilder zählende Gruppe, vom Naturschauspiel der Sonnenauf- und -untergänge bis
zu Küstenansichten, die alle um das Thema Licht
- Luft - Meer kreisen.
Und Hannelore Born ist
mutig: Sie malt sich 180 Jahre später eine eigene Version des
berühmten Gemäldes Mönch am Meer oder auch Wanderer am Gestade, das Caspar
David Friedrich 1808-10 malte und das durch seine radikale
Landschaftsauffassung einen Paukenschlag in die Kunstgeschichte seiner Zeit setzte
– aus einer Reaktion auf schwierige, von Umbrüchen gekennzeichneten Zeiten
heraus. Ich meine schon, dass Hannelore Born sich angesichts unserer Gegenwart
durchaus zu den Ideen der deutschen Romantik hingezogen fühlt. Sie kopiert das
Bild allerdings nicht, sie räumt es etwas auf, weiße Schaumkämme und Möwen
fehlen, und maltechnisch ist sie natürlich von den veränderten
Darstellungsweisen ihrer eigenen Zeit geprägt.
Etwas lichter und
hoffnungsvoller, also weniger verhängnisvoll als bei Friedrich, scheint der
Bornsche Himmel über dem Meer, vor dem der Mensch, wie eine kleine Brücke, ein
winziger Atlant (?), ein Gast zwischen Erde und Himmelsgewölbe erscheint.
Caspar David Friedrich
selbst schreibt im Jahr 1809 über sein Bild an einen Freund: „Da hier einmal von Beschreibungen die Rede
ist, so will ich Ihnen eins meiner Beschreibungen mitheilen, über eins meiner
Bilder so ich nicht läng[s]t [unlängst] Vollendet habe; oder eigentlich, meine
Gedanken, über ein Bild; den[n] Beschreibung kann es wohl nicht genannt werden.
Es ist nemlich ein Seestük, Vorne ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte
Meer, und so die Luft. Am Strande geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen
Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreiet um ihn her, als wollten sie Ihm
warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung,
nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom
Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht
ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest
[wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft
Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt;
endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am
öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr
wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!“ (Büsing,
Leander: Vom Versuch, Kunstwerke zweckmäßig zusammenzustellen: Malerei und
Kunstdiskurs im Dresden der Romantik, Dortmund 2011).
Hannelore Borns Bilder
werden ihrer Motive wegen manchmal als leise bezeichnet, was für ihr tiefes
inneres Erleben und den Respekt vor der Natur als Schöpfung auch zutrifft. Aber
als Malerin hat sie sich stetig entwickelt – ihre stilistisch
impressionistischen Anfänge in dynamisch-abstrakte, freie Malweisen gewandelt
und die Farben zunehmend expressiver gewählt.
Dies wird schon während ihrer
Ausbildung angelegt, die Hannelore Born vorerst in Abendkursen während ihrer
Tätigkeit in der Bezirksverwaltung für Finanzwirtschaft beginnt. Diese liegt in
einem Gebäude gegenüber der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, die offensichtlich
eine magnetische Wirkung auf die junge Frau ausübt.
Bis dahin hatte sie einen
Jahrhundertlebenslauf hinter sich, wie viele andere Umsiedler auch, mit dem
Flüchtlingstreck der Familie aus dem heimatlichen Niederschlesien übers Erzgebirge
bis in die Dresdner Ecke. Und nun nimmt die einstige Bauerntochter dort bei
vorzüglichen Lehrern ein Kunststudium auf!
Zuerst ist Gerhard Kettner
(1928-1993) zu nennen, ein begnadeter Zeichner – die Kugelschreiberzeichnungen mit Dresdener Motiven gehen
vermutlich auf seinen Einfluss zurück und zeigen uns die Motive wie gewebt aus unprätentiösen,
nervös einfangenden, verlebendigenden Linien. Später zeichnet Hannelore Born
lieber in den der Malerei näheren Techniken Aquarell und Pastell.
Und dann ist es der Maler
Herbert Kunze (1913-1981), der als Dozent die Formensprachen der Klassischen
Moderne seit dem Kubismus sicher nicht offiziell lehrte, aber garantiert die
Studenten damit vertraut machte. Er selbst gilt als einer der wichtigsten
Vertreter des sog. Dresdner Informel.
In seinem Sinne arbeitet auch Hannelore Born. Sie gestaltet – ich möchte fast
meinen, sie konstruiert – einige ihrer realistischen Natur- und Waldbilder kühn
aus breitflächigen abstrakten Formen. Sie komponiert streng horizontal und
vertikal und erschafft mit breiten Pinseln farbige Flächen, die sich zu einer
Ansicht von großer poetischer Strahlung fügen, z.B. das Pastell Bucher Wald [WN 355]. Ein anderes
Beispiel ist eine Malerei, die Hannelore Born erst 30 Jahre nach dem Studium
bei Kunze, nämlich 2003, schuf und die nur auf diesen Lehrer zurückzuführen
sein kann, aus Verehrung vielleicht? Dargestellt ist laut Titel die Papierfabrik in Eberswalde,
deren Motiv zum Anlass für ein ikonengleich feuriges, abstraktes Bild wurde.
Natürlich ist Hannelore
Born immer neugierig auf die Kunst ihrer Kollegen, sie besucht Ausstellungen,
auch auf Reisen und pflegt langjährige Künstlerfreundschaften. Besondere
Bedeutung für sie hat die Begegnung mit dem alten Otto Niemeyer-Holstein (1896-1984)
ein Jahr vor seinem Tod, Mitte der 1980er Jahre, mit dem sie sich verbunden
fühlte und von dem sie viel Anregung und Bestätigung erfuhr. Ähnlich wie er auf
Usedom lebte, lebt sie mit ihrer Familie ebenfalls weit weg vom urbanen Trubel
– draußen am Rand von Berlin, in einem von Grün umwucherten Refugium, Eignerin eines
Atelierhauses, das die Familie selbst errichtet hatte. Ihr Werk wurde geschätzt
und sie wurde nicht mit öffentlichen Aufträgen bedrängt. So schuf sie, fast im
Verborgenen, ein heiter-ernstes Werk, malerisch anspruchsvoll, vielseitig und
energiegeladen, das wir mit dieser Ausstellung würdigen.
Berlin, 24.10.2019
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